Kongressnachlese
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von PD Dr. Christoph Sucker
Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) COAGUMED Gerinnungszentrum, Berlin, und Medizinische Hochschule Brandenburg (MHB), Brandenburg an der Havel


Öffentliche Sitzung des Berufsverbandes der Deutschen Hämostaseologen e.V. (BDDH) im Rahmen der 68. Jahrestagung der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH) 2024 in Wien.
Im Rahmen des Kongresses der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH), der im Februar 2024 in der Hofburg in Wien stattfand, führte der Berufsverband der Deutschen Hämostaseologen e.V. (BDDH) eine Veranstaltung durch. Den Vorsitz übernahmen, wie in den vergangenen Jahren, der Vorsitzende des BDDH, Privatdozent Dr. Jürgen Koscielny, Berlin, sowie der Stellvertretende Vorsitzende des BDDH, Dr. Günther Kappert, Duisburg.
Im Rahmen des öffentlichen Teils der Veranstaltung wurden mehrere berufspolitische Vorträge gehalten, von denen nachfolgend drei kurz zusammengefasst werden.
Privatdozent Dr. Jürgen Koscielny, Berlin, berichtete über die Entwicklung der Verträge zur Hämophilie-Versorgung.
In seiner letzten Sitzung 2023 hat der G-BA beschlossen, dass Einrichtungen, die Hämophilie mit Gentherapeutika (sog. ATMPs) behandeln, Qualitätsvorgaben zu erfüllen haben, führte Koscielny aus. Konkret geht es um die Behandlung mit Valoctocogen Roxaparvovec zur Behandlung der Hämophilie A und Etranacogen Dezaparvovec zur Behandlung der Hämophilie B. Gefordert für Einrichtungen, die entsprechende Behandlungen durchführen, sind unter anderem 30 Behandlungsfälle schwerer Hämophilie im vergangenen Kalenderjahr sowie eine geeignete Qualifikation verantwortlicher Ärzt:innen, die über eine Facharztbezeichnung in Innere Medizin, Innere Medizin und Hämatologie und Onkologie oder Transfusionsmedizin mit Zusatzweiterbildung Hämostaseologie verfügen müssen. Einrichtungen, die Gentherapeutika bei Hämophilie anwenden wollen, benötigen künftig eine Genehmigung der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) beziehungsweise eine Bescheinigung des Medizinischen Dienstes (MD). Diese wird nach Anzeige der Behandlungseinrichtung und Übermittlung der erforderlichen Daten und Checklisten erteilt. Die Beschlüsse würden derzeit vom Bundesministerium für Gesundheit geprüft und treten nach Bundesanzeiger-Veröffentlichung in Kraft. Einrichtungen, die die genannten Gentherapeutika schon anwenden, hätten danach noch 6 Monate Zeit, bis die Strukturvorgaben für sie verbindlich greifen.
Dr. Frauke Bergmann, Hannover, berichtete über ihre langjährigen Erfahrungen im Bereich der Hämostaseologie und wagte unter dem Titel „Das hämostaseologische Labor im Wandel!?“ einen Ausblick auf die Zukunft des Fachgebietes.
In den letzten 40 Jahren habe sich die Analytik in einem Gerinnungslabor wesentlich verändert. Die rein manuelle Testung kennen viele Ärzt/innen nur noch aus dem Studentenunterricht, führte Bergmann aus. Die Automatisierung begann in den 80er Jahren. Die Laurell-Elektrophorese wurde von ELISA-Systemen abgelöst. Es kam eine Vielzahl neuer Parameter hinzu. Stand früher die Einzelfaktorenanalyse im Vordergrund, dominiert heute die Thrombophilie-Diagnostik inklusive molekulargenetischer Verfahren das Analysenspektrum des Gerinnungslabors. Steigende Analysenzahlen erforderten neue Geräte mit einem hohen Durchsatz und parallel dazu verlief auch die Reagenzien-Entwicklung (z. B. chromogene Substrate, lösliche Reagenzien). In jüngerer Zeit stellt der Mangel an qualifiziertem Personal und der zunehmende Kostendruck eine große Herausforderung dar. Weniger Wartungsaufwand, weniger manuelle Prozesse und verlängerte walkaway-Zeiten sollen Personal und Kosten sparen. Die Umsetzung der „in vitro diagnostic device regulation“ (IVDR) stellt eine weitere Herausforderung für alle Akteure dar. Labore müssen schnell, zuverlässig, effizient und präzise arbeiten. Die zukünftige Herausforderung ist bedingt durch die Trennung der klinischen Medizin vom Labor – die Zentralisierung, Automatisierung und der Einzug von künstlicher Intelligenz werden sich nicht aufhalten lassen. Doch wie wird sich das System bzw. unser Fach weiterentwickeln – ohne Fachkräfte und ohne umfassend ausgebildete Ärzt/innen, die das klinische Wissen mit dem Wissen um die Komplexität der Laboranalytik zuvor vereinten?
Privatdozent Dr. Christoph Sucker, Berlin, berichtete über zwei Themen, die die Gemüter vieler niedergelassener Kollegen bewegen: Die ausufernde Dokumentationspflicht im Deutschen Hämophilieregister (DHR) sowie die Digitalisierung im Gesundheitswesen, die vom Ressortchef Gesundheitsminister Professor Karl Lauterbach ungeachtet aller Widerstände weiter vorangetrieben wird.
Die letztjährige Kritik am DHR hat zumindest zur Einberufung eines „runden Tisches“ geführt, der allerdings keine durchgreifenden Ergebnisse erbracht habe. Weiterhin seien keine Daten aus dem DHR publiziert worden, führte Sucker aus. Bemerkenswert bei der diesjährigen DHR-Meldung sei, dass die Abfrage bzw. Erfassung seltener Gerinnungsstörungen nun einen höheren Stellenwert erhalten habe: Es sei zu befürchten, so Sucker, dass hier die Datensammelwut des DHR weiter ausufere. Im zweiten Teil berichtete Sucker über Publikationen aus dem „KV-PraxisBarometer“ 01/2024, in dem eine starke Zunahme der Digitalisierung in Arztpraxen konstatiert wird. Grundsätzlich zeigen die Ergebnisse, so Sucker, dass niedergelassene Kolleginnen und Kollegen für die Digitalisierung sehr aufgeschlossen seien. Die Digitalisierung müsse auf Bereiche konzentriert werden, in denen der größte Nutzen zu erwarten sei; hierzu zählen die Übermittlung von Arztbriefen, Befunden und Labordaten. Gerade im Austausch von Krankenhäusern und Arztpraxen sei der Anteil der digitalen Kommunikation weiter gering. Wichtig sei, dass die Digitalisierung nicht dazu führen dürfe, dass weitere bürokratische und nicht medizinische Aufgaben auf Arztpraxen verlagert werden. Derzeit erfolge die Einführung digitaler Anwendungen in medizinischen Einrichtungen häufig nicht aus Überzeugung, sondern aus Furcht vor Sanktionen durch den Gesetzgeber.
PD Dr. Christoph Sucker, COAGUMED Gerinnungszentrum Berlin, Tauentzienstrasse 7 b/c, 10789 Berlin verfasste den Beitrag für den Vorstand des Berufsverbandes der Deutschen Hämostaseologen (BDDH)
E-Mail: CS@coagumed.de