Kongress-News

 

hemoTICKER 2/23

Das Redaktionsteam präsentiert seine „Best-of-Abstracts“ 

31. Kongress der „International Society on Thrombosis and Haemostasis“ (ISTH), in Montréal, Kanada vom 24.-28. Juni 2023

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    Dr. Sonja Alesci, 
    IMD Gerinnungszentrum Hochtaunus am Gesundheitscampus Bad Homburg

    Hintergrund der hier berichteten Arbeit Yeu-Chin Chen et al. ist, dass wiederholte Gelenkblutungen bei Patienten mit Hämophilie A eine hämophile Arthropathie zur Folge haben können – eine mit einer starken Beeinträchtigung der Lebensqualität assoziierte chronisch destruierende Gelenkerkrankung. Chen et al. ergründeten in ihrer Studie mit 58 Hämophilie-A-Patienten (meist schwerer Erkrankung) und einem medianen Alter von 46 Jahren: Korrelieren die biochemischen Serum-Marker mit bildgebenden Verfahren? Die bildgebenden Verfahren umfassen: Pettersson-Röntgen-Score (detaillierte radiologische Klassifizierung der hämophilen Gelenke); „Hemophilia Joint Health Score“ (HJHS)-Score und HEAD-US (Hemophilia Early Arthropathia Detection with Ultrasound.

    Die Ergebnisse auf einen Blick: Hämophilie A ist mit einem signifikanten Knorpelabbau und Entzündungen assoziiert. Bei Patienten mit schwerer oder mittelschwerer Erkrankung besteht eine signifikante Korrelation von COMP (cartilage oligomeric matrix protein) und vaskuläres Adhäsionsmolekül sVCAM-1 mit HEAD-US, HJHS und Pettersson-Score.

    Konkret lag der Mittelwert der HEAD-US-, HJHS- und Röntgen-Pettersson-Scores bei 19,3, 20,2 bzw. 24,5, entsprechend. Verglichen mit Normalprobanden wiesen die Patienten mit Hämophilie A signifikant höhere COMP-, CTX-I-, CTX-II-, sVCAM-1, Osteokalzin- und Osteopontin-Werte im Serum auf. Die VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor)-Spiegel waren bei den Hämophilie-Patienten niedriger als bei den Normalprobanden. Außerdem ergab sich eine signifikante Korrelation zwischen HEAD-US mit COMP (p=0,006) sowie sVCAM-1 (p=0,012), entsprechend, und HJHS mit COMP (p=0,0034) und sVCAM-1 (p=0,0014), entsprechend. Der Pettersson-Score korrelierte positiv mit COMP (p=0,0096) und VCAM-1 (p=0,0018) und negativ mit VEGF (p=0,021).

    „Diese Studie widmet sich ausführlich der Korrelation zwischen Biomarkern sowie verschiedenen Arten der Bildgebung. Die Ergebnisse sind für die Praxis einerseits sehr interessant und gleichzeitig relevant: Weil eine Blutentnahme, aus deren Ergebnis man einen Hinweis auf einen Gelenkschaden finden kann, einfacher als ein klinischer Score oder eine Bildgebung ist.“ - Sonja Alesci (Bad Homburg)

    Yeu-Chin Chen et al. Correlation of Biomarkers, Conventional X ray score, Hemophilia Joint Healthy Score and Joint Sonography for Assessment of Hemophilic Arthropathy Severity. Abstract OC 12.5, vorgestellt auf dem ISTH 2023 in Montreal vom 24.-28. Juni.

    Richard M. Daly et al. untersuchten im Rahmen einer retrospektiven Vergleichsstudie die Komorbiditäten von Patient:innen mit Blutungsstörungen (PWBD) im Alter ≥ 50 Jahren. Denn bislang gab es – abgesehen von der Hämophilie – wenig Publikationen von PWBD, was mit einer Unterrepräsentation älterer Frauen einhergeht. Daly et al. verwendeten die National Haemophilia Database, um eine Liste von am Cork University Hospital – einem Hämophiliezentrum mit umfassenden Behandlungsmöglichkeiten (CCC) – registrierten PWBD zu erstellen. Die Studie befasste sich mit PWBD aller Schweregrade und Arten (einschließlich Hämophilie, von-Willebrand-Krankheit, Faktordefizite, Thrombozytenfunktionsstörungen und nicht klassifizierte Blutungsstörungen) und beinhaltet eine große Gruppe von Frauen. Die Prävalenz der Komorbiditäten in dieser Kohorte wurde mit der zuvor veröffentlichten irischen Kohortenstudie TILDA verglichen. 

    103 (68 % Frauen) Patient:innen wurden in die Studie aufgenommen [medianes Alter 63,5 Jahre (50-90)]. Insgesamt scheint die Inzidenz der wichtigsten Komorbiditäten bei PWBD ≥50 Jahren ähnlich hoch wie in einer altersgleichen Kohorte zu sein. Diabetes und Zirrhose traten in der PWBD-Kohorte häufiger auf, während eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung eher selten beobachtet wurde. Die PWBD waren öfter an Krebs erkrankt und weniger oft an Bluthochdruck. Es fiel auf, dass die Anämie-Belastung bei älteren Patienten mit Blutungsstörungen geringer war – ein Ergebnis, das darauf hindeutet, dass viele Blutungsprobleme in der Postmenopause und/oder mit dem Ende des Kinderkriegens verschwinden. Bei Patienten mit schwerem Faktor-VIII-Mangel gab es keine dokumentierte Anamnese einer ischämischen Herzerkrankung. Die klinische Relevanz dieser Arbeit könnte sich, so schreiben Daly et al., auf das Management von PWBD auswirken und zu Diabetes- und Herz-Kreislauf-Screenings ermutigen.

    „Die älteren Patient:innen mit Blutungsneigung sind vor neue Herausforderungen gestellt. Die Begleiterkrankungen sind vielfältig ...aber im Prinzip nicht schwerwiegender als bei Patienten ohne Blutungsneigung. Als Ergebnis hervorheben würde ich die Tatsache, dass insbesondere Frauen nach der Menopause unter weniger Blutungen im Alltag leiden und sogar entlastet sind.“
    Dr. Sonja Alesci (Bad Homburg) 

    Richard M. Daly et al. Comorbidities in an Aging Bleeding Disorder Population: A Retrospective Comparison Study. Abstract PB0687, vorgestellt auf dem ISTH 2023 in Montreal vom 24.-28. Juni.

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      Dr. Georg Goldmann, 
      Hämophiliezentrum am Uniklinikum Bonn

      Marieke Verhagen et al. verglichen Gelenkstatus und gesundheitsbezogene Lebensqualität (HrQoL) – zwischen Hämophilie-Patienten mit mittelschwerer Erkrankung und schwerem Blutungsphänotyp vs. mildem Phänotyp. Die Analyse erfolgte auf der Basis einer Teilstunde von Daten erwachsener Patienten mit mittelschwerer Hämophilie A oder B (FVIII 1-5 %) aus der 6. Hämophilie-Studie in den Niederlanden. Ein schwerer Phänotyp wurde definiert als eine annualisierte Blutungsrate (ABR) ≥5, eine annualisierte Gelenkblutungsrate (AJBR) ≥3 oder die Anwendung einer Prophylaxe – ein milder Phänotyp das Gegenteil. Die Ergebnisse zur Lebensqualität wurden für Alter, BMI und Begleiterkrankungen angepasst.

      Die Studie schloss insgesamt 145 Patienten mit mittelschwerer Hämophilie ein (Hämophilie A: n=122; Hämophilie B: n=23). 22 % wiesen einen schweren Blutungsphänotyp auf – davon erhielten 60% eine Prophylaxe. Patienten mit schwerem Phänotyp unter On-Demand-Behandlung berichteten sowohl über eine höhere ABR als auch eine höhere AJBR und einen höheren Prozentsatz von Gelenkschäden gegenüber Patienten mit einem schweren Phänotyp unter Prophylaxe, oder Patienten mit einem milden Phänotyp (ABR: 7 vs. 2 vs. 0; AJBR: 2 vs. 0 vs. 0; Gelenkschäden: 82 % vs. 57 % vs. 52 %; entsprechend). 

      Bei Patienten mit einem schweren Phänotyp, die eine On-Demand-Therapie bekamen, wurden schlechtere Scores in allen HrQoL-Domänen beobachtet, mit der Ausnahme von Schlafstörungen. Patienten mit einem schweren Phänotyp unter Prophylaxe erreichten dagegen ähnliche HrQoL-Scores wie Patienten, die einen milden Phänotyp aufwiesen (außer bei den Parametern körperliche Funktion und Müdigkeit).

      Insgesamt hatte jeder vierte Patient mit mittelschwerer Hämophilie eine starke Blutungsneigung, assoziiert mit Gelenkschäden und einer verminderten Lebensqualität – ein Ergebnis, das für eine intensivere Behandlungsstrategie mit Prophylaxe spricht, so lautet das Fazit der Studienautoren.

      „Dieser Artikel bestätigt für mich nochmals die Erfahrungen aus der täglichen Praxis, dass ein nicht unerheblicher Teil der Patienten mit mittelschwerer Hämophilie physisch und psychisch von einer Prophylaxe profitieren würde. Deshalb sollten die Behandler ihre Patienten mit mittelschwerer Hämophilie – insofern nicht generell eine Prophylaxe durchgeführt wird – nochmals genau bzw. regelmäßig bezüglich der Notwendigkeit untersuchen.“ 
      Dr. Georg Goldmann (Bonn)    

      Marieke Verhagen et al. Decreased quality of life in non-severe hemophilia patients with an increased bleeding phenotype. Abstract OC 12.2 PB0687, vorgestellt auf dem ISTH 2023 in Montreal vom 24.-28. Juni.

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        Dr. Kai Severin, 
        Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie. Arzt für Palliativmedizin und Hämostaseologie, Köln

        Der Ansatz der Gen-Therapie (GT) ist – trotz einiger Limitationen – ein wichtiger Schritt in der langfristigen Verbesserung der Therapieoptionen bei Hämophilie-Patienten. Die Behandler-Szene, insbesondere aber auch die Patienten, sind trotz Zulassung dieser neuen Therapieform international noch zurückhaltend. Die Fragestellung dieser Fragebogen-basierten Untersuchung (n=85 Patienten) von Ilaria Cutica et al. war: 

        • Inwieweit Patienten mit zumeist (80 %) schwerer Hämophilie A unter überwiegend Prophylaxetherapie (80 %) Informationen zu gentherapeutischen Ansätzen haben,

        • und wie sich ihre Einstellungen zu dieser innovativen Behandlungsoption darstellen.  

        Erfreulicherweise gaben 93 % der Patienten an, mit ihrer aktuellen Therapie zufrieden zu sein, d. h. bei 80 % der Teilnehmer mit der regelmäßigen Prophylaxe. Doch war der Informationsstand zu Gen-Therapie sehr gering ausgeprägt: Nahezu 30 % der Patienten gaben weniger als 4 von 17 richtigen Antworten und 75 % weniger als 9. 51 % der Teilnehmer würden eine von ihrem Behandler empfohlene GT kategorisch ablehnen. Primäre Gründe waren hier vor allem ein befürchteter Effektivitätsverlust, mögliche Kurz- und Langzeitnebenwirkungen, aber auch die mangelnden detaillierteren Informationen.

        „Der Abstract zeigt, dass eine Behandlung nach einem „informed consent“ Prinzip nur durch ein gutes Informationsniveau bei Behandler UND Patient erreicht werden kann. Solange beide Seiten (noch) nicht von einer neuen Behandlungsoption voll überzeugt sind, kann der Schritt zu neuen Therapiewegen nur schwer gegangen werden.“
        Dr. Kai Severin (Köln)

        Leider wird die vorliegende retrospektive Studie jetzt, im Spätsommer 2023, wieder hochaktuell. Hatten wir gehofft, der Corona-Spuk sei endlich überstanden, meldet sich der Virus nun in veränderter Variante wieder zurück. Die hier berichtete 1:3 Propensity-Score (PS) Matching Kohortenstudie ergründete an einem großen Kollektiv des US-Covid-19-Registers, ob Personen mit Hämophilie durch ihren hypocoagulatorischen Status einen Schutz gegen das – durch das Corona-Virus erhöhte Thromboembolierisiko – haben. 1.200 Patienten mit Covid-19-Infektion, davon 300 mit Hämophilie A/B wurden in Bezug auf Schwergrad der Covid-19-Erkrankung, 30-Tage-Mortalität (alle Gründe), venöse Thromboembolie (VTE) und Blutungsereignisse evaluiert.

        Im Wesentlichen waren die Gruppen in Ihrem Outcome vergleichbar, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Hämophilie vor thromboembolischen Komplikationen schützt. Die Daten zeigten entsprechend: schwere COVID-19-Verläufe [jeweils < 3,3 %], Sterblichkeit (5,3 % vs. 4,3 %), VTE [3,8 % vs. < 3,3 %], ZNS-Blutungen [jeweils < 2 %]; mit der Ausnahme, dass die Raten für Klinikeinweisungen und Nicht-ZNS-Blutungen bei den Hämophilie-Patienten signifikant höher waren. Die Hämophilie verringerte nicht das Risiko für unerwünschte Folgen – schwere COVID-19-Verläufe und Mortalität – (OR 1,32, 95 % KI 0,74-2,31) und VTE (OR 1,14, 95 % KI 0,44-2,67), sondern erhöhte das Blutungsrisiko signifikant (OR 4,78, 95% KI 2,98-7,48). Zusätzlich waren bei den Hämophilie-Patienten mehrere Komorbiditäten – höheres Alter, Herzinsuffizienz, Bluthochdruck, Demenz, leichte/mittlere Lebererkrankung, Krebs/Malignität, Nierenerkrankung – signifikant mit ungünstigen Ergebnissen assoziiert (p < 0,001).

        „Mir hat der Abstract noch einmal bewusst gemacht, dass vor allem unser Patientenkollektiv mit Komorbiditäten auch in Bezug auf weitere Virus-Pandemien besonders vulnerabel ist.“ 
        Dr. Kai Severin (Köln)