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hemoTICKER 2/2022

 

Themen: Leben als Konduktorin und erste Gentherapie für Hämophilie A auf dem Weg zur Zulassung

 

 

    Da es sich bei Hämophilie A und B um eine X-Chromosomal-rezessiv erbliche Gerinnungsstörung handelt, kann eine Konduktorin die entsprechende Erbinformation für Hämophilie an ihre Kinder weitergeben, ohne selbst zu erkranken. Auch wenn Konduktorinnen selbst keine Hämophilie-Patientinnen sind, wirkt sich diese Situation auf ihr Leben aus.

    Das hemoTICKER Team wollte wissen, wie es Konduktorinnen dabei geht. Redakteurin Dr. Sonja Alesci (IMD Gerinnungszentrum Hochtaunus am Gesundheitscampus Bad Homburg) hat eine Patientin gebeten, ihre Erfahrungen aufzuschreiben:
      
    Meine Konduktorenschaft für Hämophilie A wurde 2016 durch Zufall entdeckt. Bis dahin merkte ich nur, dass ich recht schnell blaue Flecken bekam, an deren Ursache ich mich teilweise gar nicht erinnern konnte.  
    Da es sich bei mir um eine milde Form handelt, habe ich im Alltag keine Probleme und muss keine Faktor VIII Präparate spritzen. Dies ist nur bei Operationen nötig. Durch die sehr gute Anbindung an die Gerinnungsambulanz in Bad Homburg fühle ich mich sicher, jederzeit gut beraten und aufgehoben. Normalerweise werden 1x jährlich die Gerinnungsfaktoren kontrolliert.


    In meinen beiden Schwangerschaften war ich jedoch regelmäßig alle 6-8 Wochen zur Kontrolle der Blutwerte. Da der Faktor VIII in der Schwangerschaft bei mir im Normbereich liegt, brauchte ich für die Geburt kein Blutpräparat zu spritzen. Selbst der Kaiserschnitt bei meinem Sohn verlief komplikationslos.

      Im Juni 2022 war es so weit: Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) gab grünes Licht zur Zulassungsempfehlung der ersten Gentherapie der Hämophilie A. Bei der neuartigen Genfähre Valoctocogene Roxaparvovec (AAV5-hFVIII-SQ) handelt es sich um harmlose Adenoassoziierte-Viren 5 (AAV5), die eine Kopie des FVIII-Gens enthalten. Das Gen wird von einem spezifischen Promotor gesteuert und daher wird FVIII ausschließlich in der Leber synthetisiert.
       
      In der im „New England Journal of Medicine“ veröffentlichten offenen, einarmigen, multizentrischen Phase-III-Studie erhielten 134 Patienten mit schwerer Hämophilie A, die mit FVIII behandelt wurden, eine einmalige Infusion mit 6×1013 Vektorgenomen Valoctocogene roxaparvovec pro Kilogramm Körpergewicht und wurden mehr als 51 Wochen nachbeobachtet. Patienten mit neutralisierenden Antikörpern gegen das AAV-5 oder der Entwicklung von Faktor-VIII-Inhibitoren in der Vorgeschichte waren aus den Studien ausgeschlossen. Bei 132 Patienten erhöhte sich der mittlere Faktor-VIII-Aktivitätswert in den Wochen 49 bis 52 nach der Infusion um 41,9 IE pro dl. Bei den 112 Patienten, die davor an einer prospektiven nicht interventionellen Studie teilgenommen hatten, verringerten sich vier Wochen nach der Infusion die mittleren, auf ein Jahr hochgerechneten, Raten an Verbrauch von Faktor-VIII-Präparaten um 98,6 % und die Raten der behandlungsbedürftigen Blutungen um 83,8 % (p<0,001 für beide Vergleiche). Alle Patienten berichteten mindestens ein unerwünschtes Ereignis, bei 22/134 (16,4 %) traten schwerwiegende unerwünschte Ereignisse auf.[1]

      Die vier Experten

      Prof. Dr. Wolfgang Miesbach, Leiter Schwerpunkt Hämostaseologie in der Medizinischen Klinik II / Institut für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie, Universitätsklinikum Frankfurt
      PD Dr. Robert Klamroth, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin – Angiologie und Hämostaseologie Zentrum für Gefäßmedizin, Vivantes Klinikum im Friedrichshain, Berlin
      PD Dr. Patrick Möhnle, Oberarzt in der Abteilung für Transfusionsmedizin, Zelltherapeutika und Hämostaseologie, Klinik für Anästhesiologie, Klinikum der Universität München (LMU)
      Prof. Dr. Christoph Male, Hämophiliezentrum an der Kinderklinik in Wien, Medizinische Universität Wien, Österreich
       

      haben auf der Website des Science Media Center Germany gGmbH „die Zwischenergebnisse der Phase-III-Studie zu Valoctocogene Roxaparvovec eingeordnet und erläutern, welche Hürden, aber auch welche Chancen für eine Gentherapie der Hämophilie noch bestehen, damit eine einmalige Behandlung nachhaltig wirksam und kosteneffektiv wäre.“[2]
       
      Das Redaktionsteam hat für Sie die zentralen Aussagen zusammengefasst:

      Wie Wolfgang Miesbach betont, handelt es sich „mit 134 Patienten mit schwerer Hämophilie“, die in die Studie eingeschlossen wurden, um „die weltweit größte Anzahl von Patienten, die jemals in einer Gentherapie-Studie der Bluterkrankheit behandelt wurden“. Auffällig sei jedoch, dass die Expression des Faktor VIII-Transgens mit der Zeit abnehme.

      „Allerdings“, erläutert er weiter, „zeigten sich häufige Nebenwirkungen, die sich vor allem in einem Anstieg eines Leberenzyms manifestierten und zu einer immunsuppressiven Behandlung führten.“ Laut Miesbach handelt es bei der Valoctocogene roxaparvovec-Studie um die „am weitesten fortgeschrittene Studie zur Gentherapie der Hämophilie A.“ In jedem Fall bildeten die vorgelegten Daten eine gute Grundlage auf dem Weg zur Zulassung der ersten Gentherapie für Hämophilie, so sein abschließendes Fazit.
          
      „Die Expression des Faktor VIII ist etwa sechs Monate nach der Gentherapie am höchsten und fällt dann langsam ab“, erläutert Robert Klamroth. Bei Hämophilie A sei eine Gentherapie bislang keine dauerhafte Lösung, stelle aber dennoch eine vielversprechende Therapieoption dar. Aufgrund der neuartigen Therapie wäre es nach einer Zulassung sicher ratsam, alle Patienten in einem Register weiterzuverfolgen, regt Klamroth weiter an. Eine der Herausforderungen in der Gentherapie sieht er darin, dass man den Erfolg für den einzelnen Patienten sehr schwer beziehungsweise gar nicht voraussagen könne. Der überwiegende Anteil der Patienten spreche allerdings positiv auf die Therapie an. „Eine Gentherapie mit Adeno-assoziierten Viren könne die Hämophilie nicht final heilen“, so Klamroth, „weil das in die Leberzelle eingebrachte Gen nicht in das Erbgut integriert wird. Wenn die Leber sich im Laufe der Jahre regeneriert und neue Leberzellen bildet und alte absterben, dann sterben auch die Leberzellen ab, die das Gen tragen.“ Dieselbe Gentherapie könne nicht wiederholt werden, weil dem Patienten bei der einmaligen Injektion sehr viele Viren infundiert werden, gegen die der Körper dann viele neutralisierende Antikörper bilde. „Die Gentherapie mit Adenoassoziierten Viren ist allerdings“, so sein Schlussfazit, „ein erster erfolgversprechender Schritt zur Gentherapie der Hämophilie.“ 
       

      Wie Patrick Möhnle reflektiert, zeige die Studie vielversprechende Resultate in Bezug auf den Anstieg der gemessenen Faktor-VIII-Aktivität nach einem Jahr und die Verringerung des mittleren jährlichen Faktor-VIII-Verbrauches sowie der behandelten jährlichen Blutungsereignisse. „Trotz der insgesamt positiven Ergebnisse ist eine sehr hohe individuelle Variabilität des Therapieerfolges auffällig“, führt er weiter aus. Als einschränkend sieht er auch die mit 79,1 % hohe Rate an Transaminitis. Bei der Beurteilung der Studie sei zudem relevant, dass die untersuchten Patienten ein vergleichsweise junges Kollektiv (Alter im Median 30 Lebensjahre) mit einer niedrigen Rate von Gelenkfolgeschäden (72,4 Prozent ohne ‚problem joint‘) darstellen. Möhnle sieht weitere Langzeitdaten über die Effektivität und Sicherheit der Therapie über die Dauer von zwei Jahren hinaus als essentiell bei der endgültigen Beurteilung der neuen Therapieoption – mit relevanten Endpunkten zum Outcome und insbesondere zur Frage, ob eine Wiederholung der Therapie notwendig beziehungsweise möglich sein könnte. „Eine eventuelle Zulassung der Gentherapie bei Hämophilie A würde das Portfolio der verfügbaren Prophylaxe- beziehungsweise Therapieoptionen ergänzen. Der Stellenwert der Gentherapie müsse sich jedoch an den aktuell verfügbaren guten Behandlungsoptionen messen lassen, insbesondere in Bezug auf Nebenwirkungen und Praktikabilität, resümiert der Experte abschließend.  

      „Bei 90 Prozent der Patienten kam es zu einer Reduktion von Blutungen und einer Reduktion des Bedarfs an Behandlung mit Faktor VIII; die meisten Patienten benötigten keine Faktor VIII-Prophylaxe“, fasst Christoph Male die wesentlichen Ergebnisse der Phase-III-Studie zusammen. Allerdings seien die Ergebnisse vorläufig, merkt er an, weil primär erst das erste Jahr nach Gentherapie analysiert werden konnte. Als weitere Einschränkung diskutiert Male die hohe Variabilität des Faktor-VIII-Anstieges (zwischen 0 bis 150 Prozent) und den langsamen Abwärtstrend der Faktor-VIII-Aktivität über die Zeit. Niedrigere Faktor-VIII-Spiegel dürften, erklärt er, auch klinisch weniger wirksam gewesen sein. Auf die Frage, welche therapeutische Wirkung eine Gentherapie gegen Hämophilie A mit sich bringen sollte, antwortet Male: „Idealerweise würde man sich eine dauerhafte Wirkung wünschen, was bei Hämophilie A nach derzeitigen Daten wahrscheinlich nicht zu erwarten sein dürfte. Andernfalls wären Methoden zu entwickeln, bei denen eine Gentherapie auch mehrmals verabreicht werden kann.“ Vor allem in der Immunantwort des Körpers auf den viralen Vektor und das Genprodukt sieht Male erschwerende Faktoren für eine dauerhaft wirksame und effektive Entwicklung einer Gentherapie gegen Hämophilie A. „Hierfür werden“, so Male, „zurzeit unterschiedliche Ansätze der Immunsuppression wie zum Beispiel prophylaktisch versus reaktiv untersucht.“

       

      Literatur:

      1. Ozelo MC, Mahlangu J, Pasi KJ, Giermasz A, Leavitt AD, Laffan M, Symington E, Quon DV, Wang JD, Peerlinck K, Pipe SW, Madan B, Key NS, Pierce GF, O'Mahony B, Kaczmarek R, Henshaw J, Lawal A, Jayaram K, Huang M, Yang X, Wong WY, Kim B; GENEr8-1 Trial Group. Valoctocogene Roxaparvovec Gene Therapy for Hemophilia A. N Engl J Med. 2022 Mar 17;386(11):1013-1025. doi: 10.1056/NEJMoa2113708. PMID: 35294811.
      2. https://www.sciencemediacenter.de/alle-angebote/research-in-context/details/news/gentherapie-gegen-bluterkrankheit-haemophilie-a/