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hemoTICKER 1/24

    Die Standardbehandlung für Hämophilie A ist die Prophylaxe mit einer Faktor VIII (FVIII)-Ersatztherapie. Anders als die Therapien mit Standard-Halbwertszeit (SHL) können FVIII-Produkte mit verlängerter Halbwertszeit (EHL) nicht nur die Therapielast verringern, sondern auch die Compliance verbessern, indem sie die Injektionshäufigkeit reduzieren.[1] 

    Jivi® bietet flexible Prophylaxe-Regimes 

    Bei Damoctocog alfa pegol (BAY 94-9027/Jivi®) handelt es sich um ein PEGyliertes rekombinantes Faktor-VIII (rFVIII)-Produkt mit verlängerter Halbwertszeit (Extended-Half-Life, EHL) für vorbehandelte Patienten mit Hämophilie A im Alter von ≥12 Jahren. Eine Besonderheit von Jivi® sind seine flexiblen Prophylaxe-Regimes (45-60 IE/kg alle 5 Tage, 60 IE/kg alle 7 Tage oder 30-40 IE/kg zweimal wöchentlich).[2]

    HEM-POWR – Hintergrund

    Die laufende, multinationale, multizentrische, nicht-interventionelle, prospektive Postmarketing-Kohortenstudie HEM-POWR (NCT03932201) beurteilt Wirksamkeit und Sicherheit von Jivi® im klinischen Alltag. An der Beobachtungsstudie nehmen Patienten mit Hämophilie A teil, die Jivi® als On-Demand, Prophylaxe oder intermittierende Prophylaxe (gemäß lokaler Zulassung) erhalten und 36 Monate lang beobachtet werden. Primäre Endpunkte umfassen die Gesamtzahl der Blutungsereignisse und die annualisierte Blutungsrate (ABR). Zu den sekundären Endpunkten gehören Langzeitsicherheit, Gelenkgesundheit, Pharmakokinetik, Patient-Reported-Outcomes und perioperative Hämostase. Ferner werden auch die Gründe für die Umstellung auf Damoctocog alfa pegol, die Wahl des Behandlungsschemas und der Dosierung erfasst. Die Daten werden anhand von Patiententagebüchern und ärztlichen Aufzeichnungen erhoben. Bis jetzt wurden bereits mehr als 300 Patienten eingeschlossen. 

    Sanabria M, Álvarez Román MT, Castaman G, Janbain M, Matsushita T, Meijer K, Oldenburg J, Friedl S, Reding MT. Design of the HEM-POWR study: a prospective, observational study of real-world treatment with damoctocog alfa pegol in patients with haemophilia A. BMJ Open. 2021 Sep 2;11(9):e044997. doi: 10.1136/bmjopen-2020-044997. PMID: 34475142; PMCID: PMC8413870 

    Weitere Literatur: 

    1. Santagostino E, Kenet G, Fischer K, Biss T, Ahuja S, Steele M. PROTECT VIII Kids: BAY 94-9027 (PEGylated Recombinant Factor VIII) safety and efficacy in previously treated children with severe haemophilia A. Haemophilia. 2020 May;26(3):e55-e65. doi: 10.1111/hae.13963. Epub 2020 Mar 25. PMID: 32212300; PMCID: PMC7317355.
    2. Reding MT, Ng HJ, Poulsen LH, Eyster ME, Pabinger I, Shin HJ, Walsch R, Lederman M, Wang M, Hardtke M, Michaels LA. Safety and efficacy of BAY 94-9027, a prolonged-half-life factor VIII. J Thromb Haemost. 2017 Mar;15(3):411-419. doi: 10.1111/jth.13597. Epub 2017 Feb 22. PMID: 27992112.


    Wolfgang Miesbach et al. stellten im Rahmen der diesjährigen GTH-Tagung die vierte Zwischenanalyse der HEM-POWR vor. Bewertet wurden Wirksamkeit und Sicherheit von Damoctocog alfa pegol (BAY 94-9027/Jivi®) bei zuvor behandelten Patienten mit Hämophilie A in Deutschland. Insgesamt zeigte diese Subgruppenauswertung, dass Damoctocog alfa pegol bei der Behandlung der Hämophilie A in der Real-World in Deutschland wirksam und sicher bei Patienten mit leichter, mittelschwerer und schwerer Hämophilie A ist. 

    Zum Daten-Cut-off (1. August 2023) wurden 73 Patienten in die Sicherheitsanalyse (SAF: ≥1 Studiendosis im Beobachtungszeitraum) und 48 in die vollständige Analyse (FAS: alle Einschlusskriterien wurden erfüllt und eine dokumentierte Dosis Jivi® in der Studie und ≥1 dokumentierte Injektionen während des Beobachtungszeitraums) aufgenommen. Die mediane (Q1; Q3) Beobachtungsdauer in der SAF betrug 814,0 (482,0; 903,0) und in der FAS 874,5 (675,5, 933,5) Tage. In der FAS war ein Großteil der Patienten zwischen 18 und unter 65 Jahren alt (40/48; 83,3 %) und wies eine schwere Hämophilie auf (39/48; 81,3 %).

    Ergebnisse   

    • Die mediane (Q1, Q3), mittlere (Standardabweichung, SD) Gesamt-ABR lag bei 0,5 (0,0, 1,6), 1,4 (2,4); mit einer Veränderung der ABR von 0,0 (-1,5, 0,5), -0,9 (3,3), im Vergleich zu den 12 Monaten vor Beginn der der Prophylaxe mit Jivi®.  
    • Bei einem beachtlichen Teil der Patienten traten keine Blutungen (21/48; 43,8 %), keine spontanen Blutungen (37/48; 77,1 %) sowie keine Gelenkblutungen (29/48; 60,4 %) auf.  
    • In puncto Sicherheit wurden in der SAF 27/73 (37,0 %) behandlungsbedingte unerwünschte Ereignisse (TEAEs) berichtet – darunter ein Fall von vorübergehender Inhibitor-Entwicklung und ein Todesfall, der nicht auf die Verabreichung von Jivi® zurückzuführen war.

    Literatur:  

    Oldenburg J, Wenning S, Holstein K, Filip J, Miesbach W, Severin K, Eichler H, Halimeh S. HEM-POWR study: Fourth interim analysis evaluating real-world effectiveness and safety of damoctocog alfa pegol in previously treated patients with haemophilia A in Germany (#232). 68. Jahrestagung der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung e.V. (GTH), 27. Februar - 1. März 2024 in Wien. Poster Session PW-01.01. 28. Februar 2024.   

      Die auf dem EAHAD von M. T. Reding et al. vorgestellte Arbeit untersuchte Wirksamkeit und Sicherheit des Damoctocog alfa pegol (BAY 94-9027/Jivi®)-Prophylaxe-Regimes mit einer Injektion alle 7 Tage (E7D). Eingeschlossen wurden Daten von zuvor behandelten Patienten mit Hämophilie A aus drei Studien, die unterschiedliche klinische Settings abbilden: Phase III PROTECT VIII-Extension-Studie (n=23), offene Phase-IV Postmarketing-Interventionsstudie (PMI; n=9) und Beobachtungsstudie HEM-POWR (n=23). Die Analyse bestätigte, dass der in den klinischen Studien beobachtete Nutzen der E7D-Jivi®-Prophylaxe auch in der Real World des Praxisalltags deutlich wird. Außerdem ermöglicht Jivi® eine Prophylaxe mit reduzierter Injektionshäufigkeit und verlängerten Dosierungsintervallen von bis zu 7 Tagen, die bei zuvor behandelten Patienten in verschiedenen klinischen Settings wirksam und gut verträglich ist.

      Die insgesamt 55 in die Analyse von Reding et al. aufgenommenen Patienten hatten unterschiedliche Schweregrade der Hämophilie A. Alle Patienten der PROTECT VIII und PMI zeigten eine schwere Hämophilie, in der HEM-POWR war dies bei 17/23 (73,9 %) der Fall. Das mediane Alter zu Studienbeginn lag entsprechend bei 31, 36 und 38 Jahren. 

      Ergebnisse

      • Die Patienten wiesen unter dem E7D-Regime von Jivi® in allen drei Arbeiten geringere Gesamt-, Gelenk- und Spontanblutungsraten auf, im Vergleich zur Zeit vor Studieneinschluss.
      • Ein beachtlicher Anteil der Patienten berichtete während der E7D-Prophylaxe keine Blutungen (Tabelle 1).

      Parameter 

      PROTECT VIII-Extension-Studie (n=23)

      PMI
      (n=9)

      HEM-POWR
      (n=23)

      Vor der Studie  

      ABR

      Median (Q1; Q3)

      3,0 (0,0; 12,0)

      5,5 (0,0; 14,0)

      1,5 (0,0; 3,0)

      Unter Jivi® E7D-Regime 

      Gesamt-ABR 
      Median (Q1; Q3)

      0,7 (0,0; 1,7)

      0,6 (0,0; 1,1)

      0,0 (0,0; 1,2)

      Gelenk-ABR 

      Median (Q1; Q3)

      0,4 (0,0; 1,0)

      0,0 (0,0; 0,0)

      0,0 (0,0; 0,9)

      Spontan-ABR 

      Median (Q1; Q3)

      0,3 (0,0; 0,8)

      0,0 (0,0; 0,0)

      0,0 (0,0; 1,1)

      Patienten ohne Blutungen

      n (%)

      8/23 (34,8 %)

      7/9 (77,8 %)

      13/23 (56,5 %)

      Zeitraum 

      1.129 Tage

      Letzte 24 Wochen der Studie

      331 Tage

      Tabelle 1: Die Blutungsergebnisse vor Studieneinschluss und unter dem E7D-Regime mit Jivi® über 3 Studien verschiedener Settings. 

      In der HEM-POWR-Studie wurden bei den Patienten keine auf das Studienmedikament (Jivi® E7D-Prophylaxe) bezogene unerwünschte Ereignisse gemeldet. Für die anderen beiden Studien lagen keine entsprechenden nach Dosierungsschema stratifizierten Daten vor. Insgesamt war die Rate an unerwünschten auf das Studienmedikament bezogene Ereignisse über alle drei Studien hinweg niedrig (≤9,4 %).

      Literatur: 
      Reding MT, Holme PA, Alvarez Román MT, De Cristofaro TR, M. Janbain M, Mancuso ME. The effectiveness and safety of every-7-days damoctocog alfa pegol prophylaxis in haemophilia A in phase 3, phase 4 and real-world studies (PO135). 17th Annual Congress of European Association for Haemophilia and Allied Disorders, 6.-9. Februar 2024 in Frankfurt a.M. Poster Abstracts. 

       

      Das Redaktionsteam ging auf der GTH- sowie der EAHAD-Tagung wieder auf Streifzug. Das sind die Best-of-Abstracts – vorgestellt und kommentiert:     

        Alt tag

        Dr. Sonja Alesci, 
        IMD Gerinnungszentrum Hochtaunus am Gesundheitscampus Bad Homburg

        Über das Blutungs-Risiko während der Schwangerschaft bei Frauen mit Von-Willebrand-Syndrom (vWD) sind die Studienergebnisse widersprüchlich. Aus diesem Grund untersuchten Lennert Haack et al. das Blutungsrisiko während und nach einer Schwangerschaft bei Frauen mit vWD, die eine Fertilitätsbehandlung erhalten hatten. Bei einer Kohorte an Frauen, die sich zwischen 2010 und 2019 einer Fruchtbarkeitsbehandlung in einem Kinderwunschzentrum unterzogen hatten, wurde das vWF-Antigen (vWF:Ag) und die Aktivität des vWF-Ristocetin-Cofaktors (vWF:RCo) bestimmt. Schwangere mit Ausgangs-vWF:Ag- und/oder vWF:RCo-Werten ≤50 IU/dl bildeten die vWD-Gruppe (41 Schwangerschaften auf 30 Patientinnen), unabhängig von den Blutungssymptomen sowie 3 Patientinnen mit einer früheren vWD-Diagnose. Die Kontrollgruppe umfasste 143 Frauen mit vWF:Ag- und vWF:RCo-Werten >50 IU/dl) mit 171 Schwangerschaften. Die Analyse bezog nur Lebendgeburten ein. Eine postpartale Blutung (PPH) wurde als geschätzter Blutverlust (EBL) ≥500 ml (vaginal) oder ≥1.000 ml (Kaiserschnitt) definiert. 

        Ergebnisse 

        • Es gab mehr antepartale Blutungen bei den Schwangerschaften in der vWD-Gruppe, verglichen mit der Kontrollgruppe (43,9 % [18/41] versus 19,9 % [34/171], p < 0,01). 
        • Der mediane peripartale EBL war in der vWD- geringer (350 ml) gegenüber der Kontrollgruppe (450 ml, p < 0,05). 
        • PPH wurden dagegen häufiger in der Kontrollgruppe beobachtet (22,9 % versus 7,3 %, p < 0,05). 
        • In beiden Gruppen resultierten die meisten Schwangerschaften aus einer Fertilitätsbehandlung (vWD: 68,3 %; Kontrollgruppe: 64,9 %). Gruppenunterschiede in Bezug auf die neonatalen Ergebnisse wurden nicht beobachtet.  

        Ein Screening auf vWD bei Frauen ohne klinische Blutungssymptome, die sich einer Fertilitätsbehandlung unterziehen, wird nicht empfohlen, schlussfolgern die Studienautoren. Trotz vermehrter antepartaler Blutungen hatten Frauen mit niedrigeren vWD-Werten eine geringere PPH-Rate. Eine verbesserte intraoperative Überwachung auf Blutungen bei Frauen mit geringem vWD-Werten, so die Autoren, hat wahrscheinlich zu den Ergebnissen – signifikant niedrigere PPH und EBL – beigetragen.  

        „Patientinnen mit Von-Willebrand-Erkrankung stellen einen erheblichen Anteil an Patienten in unserem Patientenkollektiv dar. Darum ist die Begleitung der Gravidität bei Patientinnen mit vWD eine regelmäßige Herausforderung. Die Einschätzung von Blutungskomplikationen ante- und postpartum ist für die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Hämostaseologen, Anästhesisten und Gynäkologen essentiell. Aus diesem Grund hat das Abstract für mich eine hohe Praxisrelevanz. Hervorzuheben ist vor allem die genaue Datenerhebung.“ 

        Sonja Alesci (Bad Homburg)

        Haack L, Dasenbrook B, Krammer-Steiner B, Stubert J. Pregnancy Outcome in Women with von Willebrand Disease Following Fertility Treatment: A Retrospective Cohort Analysis (#170). 68. Jahrestagung der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung e.V. (GTH), 27. Februar - 1. März 2024 in Wien. Poster Session PW-01.01. 28. Februar 2024. State of the Art-Session SOA-04: Bleeding in women. 28. Februar 2024. 

        Trotz umfangreicher Aufklärung bleiben immer noch viele Konduktorinnen und Frauen mit Hämophilie ohne Diagnose. E. Krumb et al. haben jetzt mit einem umfangreichen proaktiven Konduktorinnen-Screening-Projekt Pionierarbeit (PROCARRIERS1 Studie) geleistet. Ziel des Projektes war, Trägerinnen in Familien von Hämophilie-Patienten systematisch zu identifizieren. Von Mai 2021 bis April 2023 wurden potenzielle und obligate Konduktorinnen von Hämophilie A (HA) und B (HB) durch Aktualisierung der Patienten-Stammbäume von am Cliniques Universitaires Saint-Luc behandelten Hämophilie-Patienten identifiziert. Zudem wurden Daten von bereits zuvor getesteten Patientinnen (Blutungsanamnese, Gerinnungsfaktortest und Untersuchung auf die genetische Variante des Indexpatienten) aus den Krankenakten herangezogen und 125 Einladungsschreiben an ungetestete Frauen bzw. denjenigen ohne vollständige Daten mit Hämophilie-Indexpatienten in der Familie versendet. 

        Ergebnisse

        • Die Analyse umfasste alle 287 männlichen Patienten (HA: 226; HB: 61) aus 228 (HA: 180; BH: 48) Familien. 7 weibliche Hämophilie-Patienten erwiesen sich als Indexfälle (HA: 3; HB: 4). 
        • Die Auswertung der Familienstammbäume ergab 900 Frauen – von diesen wurden 454 als obligate und/oder genetisch nachgewiesene Konduktorinnen und 118 als Nicht-Trägerinnen identifiziert. 
        • Bei insgesamt 374 Konduktorinnen (obligat: n=133; potenziell: n=237; sporadisch: n=4) erfolgte eine genetische Testung, bei 190 obligaten und 328 potenziellen Trägerinnen steht die Testung noch aus. 8 Frauen wurden als obligate Nicht-Trägerinnen identifiziert.  
        • Bei den Konduktorinnen mit bekannten Gerinnungsfaktorwerten (261/454) hatten 42 (23,0 %) HA- und 23 (29,5 %) HB-Trägerinnen einen Faktor-Wert unter 40 IE/dl. Dabei unterschied sich der Anteil der Konduktorinnen nicht signifikant zwischen Familien mit schwerer, mittlerer und leichter Hämophilie.
        • Als weiteres Ergebnis zeigte die Analyse, dass Konduktorinnen mit Faktormangel früher untersucht wurden, im Vergleich zu anderen Frauen (mittleres Alter bei Diagnose 25,8 versus 31,8 Jahre, p = 0,034). 

        Laut Studienautoren stellt ein solches Konduktorinnen-Screening einen entscheidenden Schritt dar, um allen potenziell betroffenen Personen, unabhängig von ihrem Geschlecht, einen gleichberechtigten Zugang zur Hämophilie-Diagnose und -Therapie zu ermöglichen.

        Diese Studie beschäftigte sich mit einem Thema, das mir besonders am Herzen liegt – den Konduktorinnen. Die Studie hat erstmalig versucht, den Anteil der Konduktorinnen abzuschätzen. Im Alltag kommen die Konduktorinnen oft zu kurz – es ist davon auszugehen, dass sogar ein erheblicher Anteil unterdiagnostiziert ist und deshalb auch keinen Zugriff auf eine optimale Behandlung hat. Daher ist die immer größer werdende Datenlage über Konduktorinnen sehr begrüßenswert.   

        Sonja Alesci (Bad Homburg)

        Krumb E, C.Lambert C, VanDamme A, Hermans C. Promoting gender equity in haemophilia care throughproactive and systematic screening of haemophilia carriers:Results of the PROCARRIERS1 study (PO062). 17th Annual Congress of European Association for Haemophilia and Allied Disorders, 6.-9. Februar 2024 in Frankfurt a.M. Poster Abstracts.

          Alt tag

          Dr. Georg Goldmann, 
          Hämophiliezentrum am Uniklinikum Bonn

          Susan Halimeh et al. nahmen sich des Themas Früherkennung und Intervention von Synovitis an: Die Arbeitsgruppe führte eine retrospektive Kohorten-Studie bei Patienten mit schwerer Hämophilie in ihrem Hämophilie-Zentrum (HCCC Duisburg) durch: Sie verglich die Ergebnisse einer proaktiven und einer reaktiven Gelenkultraschall-gesteuerten Therapie-Adaption. 

          Vor 2020 führten die Studienautoren – gemäß den Empfehlungen der S2k-Leitlinie Synovitis bei Hämophilie von 2018 – eine Ultraschalluntersuchung der Gelenke primär dann durch, wenn Patienten Symptome berichteten. Die Therapie (Prophylaxe und ggf. Radiosynoviorthesen, RSO) wurde entsprechend adaptiert. Ab 2020 legte die Arbeitsgruppe den Fokus auf Prävention: Jetzt erhielten Patienten mit schwerer Hämophilie jährliche Ultraschalluntersuchungen aller Sprung- und Kniegelenke. Bei „stummen Symptomen“ und bei Anzeichen einer Verschlechterung erfolgten vierteljährliche Scans mit Anpassung der Prophylaxe.   

          Ergebnisse

          • Zwischen 2020 und 2022 führten die Studienautoren bei 688 Patienten mit verschiedenen Gerinnungsstörungen an 1.193 Gelenken eine Ultraschalluntersuchung durch. 
          • Beachtenswert: Bei 103 Patienten mit schwerer Hämophilie A oder B erfolgten 656 Ultraschalluntersuchungen – darunter 281 Sprung- und 175 Kniegelenke. Die Therapieschemata wurden jeweils nach Bedarf adaptiert. 
          • Außerdem fiel auf: Vor 2020 wurden 7 RSO an Sprung- und 3 RSO an Kniegelenken durchgeführt, während nach 2020 lediglich 2 RSO an Sprunggelenken erforderlich waren.

          Ein proaktives Ultraschallmonitoring von Knöchel- und Kniegelenken bei Patienten mit schwerer Hämophilie A oder B in Verbindung mit einer angemessenen Prophylaxe-Anpassung ist sowohl mit einem geringeren Schweregrad als auch mit einer niedrigeren Häufigkeit der Gelenkdegeneration assoziiert, fassen die Studienautoren ihre Beobachtungen aus dem HCCC in Duisburg zusammen. 

          Die Ergebnisse aus dem HCCC in Duisburg zeigen ganz klar die Wichtigkeit und die Möglichkeit der regelmäßigen Gelenkultraschalluntersuchung von Patienten mit Hämophilie, die in jeder Einrichtung zum Standard werden sollte. 

          Georg Goldmann (Bonn) 

          Halimeh S, Zappek J, Manuela Siebert M, Daoud A, Habermann B. Enhancing Joint Health in Hemophilic Patients: A Retrospective Cohort Study on Early Detection and Intervention for Synovitis (#214)68. Jahrestagung der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung e.V. (GTH), 27. Februar - 1. März 2024 in Wien. Poster Session PW-01.02. 28. Februar 2024.   

            Alt tag

            Dr. Kai Severin, 
            Facharzt für innere Medizin, Hämatologie und Onkologie. Arzt für Palliativmedizin und Hämostaseologie, Köln 

            Bislang wurden zwar Prädiktoren für eine Remission bei erworbener Hämophilie (AHA) untersucht – doch gab es bislang nur wenige Erkenntnisse über Rezidive und Prädiktoren, die dazu beitragen könnten, den Krankheitsverlauf der Patienten zu überwachen. Um diese Lücke zu schließen, führten Lisa Dreier et al. nun eine Langzeit-Beobachtung mit AHA-Patienten durch: Ihre retrospektive und teilweise prospektive Untersuchung schloss 79 AHA-Patienten ein, die zwischen 10/1995 und 01/2021 im Hämophilie-Zentrum des Universitätsklinikums Frankfurt a.M. behandelt wurden. Die Definition der Remission erfolgte nach den Kriterien der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung e.V. (GTH). Ein Rezidiv wurde definiert als erneuter Abfall der FVIII-Aktivität auf < 50 IE/dl und erneuter neutralisierender FVIII-Inhibitor ≥ 0,4 Bethesda-Einheiten (BU)/ml, nach initialer kompletter (CR) oder partieller Remission (PR). Die Datenerhebung erfolgte auf Basis vorhandener Patientenakten und strukturierter Interviews. 

            Laut Ausgangscharakteristika war rund jeder zweite Patient der Kohorte weiblich (50,6 %; n=40). Das mediane Alter aller Patienten lag bei 74 (28-91) Jahren. Bei 52 (64,8 %) Patienten war die AHA idiopathisch. 16 (20,3 %) wiesen eine maligne Grunderkrankung auf. Bei den Komorbiditäten zeigte ein Großteil (n=56; 70,9 %) eine arterielle Hypertonie, gefolgt von kardiovaskulären Erkrankungen (n=27; 34,2 %) und Nierenversagen oder einer neurologischen Erkrankung (wie Alzheimer oder Parkinson etc.) mit jeweils 24,1 % (n=19). 17 Patienten (21,5 %) waren an einem Diabetes mellitus, Typ 2, erkrankt, bei 11 (13,9 %) kam es zu einem Leberversagen. Die initiale mediane Faktor VIII Aktivität betrug 2,0 (0,0-35,8) IE/dl, die anfängliche mediane Inhibitor-Konzentration lag bei 18,16 (0,44-9000,0) BU/ml. 

            Ergebnisse 

            • Zeit in Remission: Alle Patienten mit Rezidiv, die eine initiale CR zeigten, erfuhren ihren ersten Rückfall < 1 Jahr nach Erreichen der CR. Die mediane Dauer der CR betrug 44,5 Tage, die der PR 75 Tage.
            • Rezidiv-Rate: Bei 18 Patienten wurde nach anfänglicher CR oder PR ein Rezidiv beobachtet. 22 Patienten erreichten keine Remission oder hatten einen unbekannten Remissionsstatus, 11 Patienten verstarben um den Zeitpunkt der ursprünglichen AHA-Diagnose. 5 Patienten konnten nicht ≥1 Jahr nachbeobachtet werden. Somit lag die Remissionsrate bei den verbleibenden 41 Patienten (100 %) bei 43,9 %.
            • Remissionsverlauf von der 1. AHA-Episode bis zur 1. rezidivierenden Episode: Nach der ersten AHA-Episode erreichten 41 Patienten eine CR. 16 Patienten verblieben in der anfänglichen PR. Bei 14 kam es zu keiner Remission, 8 gingen im Follow-up verloren. Von den 18 Patienten (mit Rezidiv nach initialer CR und PR), hatten 11 das 1. Rezidiv aus CR (61,1 %) heraus und 7 während sie in PR (38,9 %) waren. Von den Patienten, die zunächst eine CR erzielten und dann ein Rezidiv erlitten, gelangten 75,0 % in eine weitere komplette Remission – während bei den Patienten mit initialer PR und anschließendem Rezidiv 57,1 % eine neue komplette Remission erzielten (p=0,659).

            Die Studienautoren empfehlen auf Basis des beobachteten Rezidiv-Musters eine Nachbeobachtungszeit von mindestens 1 Jahr nach CR. Denn eine initiale CR erwies sich nicht als protektiver Faktor für ein Rezidiv. Wie die Daten zeigten, konnten Patienten mit Rezidiv nach initialer PR meist wieder eine PR und teilweise sogar eine CR erreichen. 

            Dieser Abstract zeigt eine sehr schöne, strukturierte retrospektive Analyse von 79 Patienten mit erworbener Hämophilie A. In den Jahren 2020-2021 haben wir unter Covid-19 einen relativen „Hype“ dieser seltenen Autoimmunreaktion erlebt, die mit potentiell tödlichen Blutungen einhergehen kann. Es ist eine interessante Zusammenstellung, die uns anhand eines relevanten Kollektivs wesentliche Hinweise zu Rückfallraten gibt und unser Gefühl bestätigt, das Patienten mit AHA häufig auch nach initialer kompletter Remission innerhalb eines Jahres wieder rezidivieren.

            Kai Severin (Köln) 

            Bewegung und Physiotherapie stärken nicht nur den Bewegungsapparat, sondern verbessern auch die Lebensqualität von Menschen mit Hämophilie. Dutta et al. interessierte jetzt, wie sich Surya Namaskar Yoga auf die Lebensqualität von Hämophilie-Patienten – mit Fokus auf der Gelenkgesundheit – auswirkt. Die Arbeitsgruppe rekrutierte die Teilnehmer ihrer Studie in einem Hämophilie-Behandlungszentrum – mitmachen konnte jeder, der bereit war, in die Studie aufgenommen zu werden. Patienten mit schweren Blutungen oder Krankenhausaufenthalten wurden ausgeschlossen. Nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Teilnehmer besuchten zweimal wöchentlich einen Yogakurs, unter Anleitung von Physiotherapeuten, Pflegepersonal und Ärzten. Die anderen Teilnehmer führten ihre Prophylaxe ohne Yoga fort. Der Haemophilia Joint Health Score (HJHS) wurde zu Beginn und nach einem Jahr Yogapraxis erfasst. 

            Die Ergebnisse: 

            • Von den 87 ursprünglichen Teilnehmern schlossen lediglich 31 die Studie ab. Davon praktizierten 16 mehr als dreimal pro Woche aktiv Yoga, während 15 die Prophylaxe-Therapie ohne Yoga fortsetzten. 
            • Der mittlere HJHS-Score verbesserte sich in beiden Gruppen vom Ausgangswert bis zur Nachuntersuchung [Prophylaxe mit Yoga: 26,25 (+15,29) auf 8,63 (+11,05); p<0,001 vs. Prophylaxe ohne Yoga: 21,87 (+11,05) auf 14,87(+8,42); p=0,061] – wobei sich in der Yoga-Gruppe eine Verbesserung um 67 % zeigte (durchschnittliche Veränderung HJHS: 17,62). Zum Vergleich: unter alleiniger Prophylaxe wurde eine 32 %-ige Verbesserung beobachtet (durchschnittliche Veränderung HJHS: 7,00).  

            Insgesamt zeigten Dutta et al., dass Yoga die Gelenk-Gesundheit von Hämophilie-Patienten positiv beeinflusst. 

            Bereits im Januar 2014 titelte das Ärzteblatt: „Staunend kann die Popularität und weltweite Verbreitung von Yoga festgestellt werden […]. Je nach Statistik machen weltweit 250 bis 300 Millionen Menschen mehr oder weniger regelmäßig Yoga. In Deutschland sind es knapp dreieinhalb Millionen – seit Jahren mit steigender Tendenz.“ (Koch, J. Die positive Kraft des Yoga, Dtsch Arztebl. Vol 13, 23-25, 2014)

            Yoga stammt aus Indien, es soll 5.000 Jahre alt sein und hat im Laufe der Zeit vielerlei Wandlungen erfahren. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht unbedingt jedermanns Sache sein muss – es ist kein Geheimnis, das regelmäßiges Yoga, je nach Übung, so gut wie alle Muskelgruppen kräftigt. Warum also nicht in der Hämophilie? Eigentlich liegt es nahe, wenngleich wahrscheinlich nicht jede gewagte Übung für eine Person mit Hämophilie geeignet ist. In der Literatur finden sich bereits zuverlässige Studienergebnisse für die Allgemeinbevölkerung. Hier sind die positiven Effekte von Yoga bei Depressionen, Angst, Schlafstörungen, chronischen Kopf- und Rückenschmerzen und anderen Krankheitsbildern durch Studien belegt. Yoga bietet aber offenbar viele Möglichkeiten. Dass sich die Gelenksituation bei Personen mit Hämophilie durch ein relativ unaufwendiges Training – das sich dazu problemlos zu Hause fortführen lässt – deutlich zum Positiven verbesserte, mit einer über 50 %-igen Verbesserung im HJHS-Score, hat mich schon sehr positiv überrascht.

            Es ist grundsätzlich ein schwieriges Forschungsprojekt, positive Effekte einer sehr facettenreichen Intervention zu untersuchen. Einmal, da es „das Yoga“ ja nicht gibt, zum anderen, da sich Wohlgefühl und subjektive Verbesserung oftmals ziemlich schwer messen lassen, da sich auch viele Begleitphänomene einstellen. Aber: Wer heilt, hat recht – und der HJHS- Score ist aus meiner Sicht ein relativ unbestechliches System.

            Vielleicht sollte ich auf meine alten Tage auch mit Yoga anfangen.

            Kai Severin (Köln)