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hemoTicker 2/23
Frauen und Blutungsneigung – dringender Handlungsbedarf
Das Thema Frauen und Blutungsneigung rückt zu Recht in den letzten Jahren in den Fokus. Es wird offensichtlich, dass ein beachtlicher Teil von Frauen mit Blutungsneigungen nicht ausreichend versorgt sind, berichtet Dr. Sonja Alesci (Bad Homburg). Ein wichtiges Thema spielt hierbei die starke Menstruationsblutung, die aufgrund des Eisenmangels mit einer reduzierten Lebensqualität einhergehen kann. Aber auch der Umgang mit den jeweiligen Erkrankungen, der Einschluss in Studien und die Herausforderungen im täglichen Leben sind nicht ausreichend beachtet. Leider, so Alesci, finden sich solche Patientinnen immer noch in der täglichen Praxis...
Nähere Informationen reflektiert die aktuelle Studie von Anna Sanigorska et al. (2022):
Die Studienautor:innen dokumentierten im Rahmen eines systematischen Reviews die Lebenserfahrung von Frauen mit einer Blutungsstörung. Frauen, die als Konduktorin bezeichnet wurden, wurden als Frauen mit einer Blutungsstörung eingestuft. Studien, die Ergebnisse zu Konduktorinnen ohne Blutungsstörung berichteten, wurden ausgeschlossen. Zudem gab es keine Unterscheidung zwischen vererbten und erworbenen Blutungsstörungen. Die Autor:innen evaluierten Forschungsergebnisse zur Qualität der Gesundheitsversorgung, zu sozioökonomischen Faktoren und zur psychischen Gesundheit. Das Review basiert auf 27 zwischen 1998-2020 veröffentlichten quantitativen und qualitativen Studien, die aus 635 potenziell in Frage kommenden Publikationen ausgewählt wurden. Ein Großteil der Studien zeigte eine mäßige bis hohe Qualität – eine Meta-Analyse der quantitativen Studien war aufgrund unterschiedlicher Auswertungsmethoden und Ergebnisse nicht möglich.
Die Ergebnisse des Reviews signalisieren dringenden Handlungsbedarf. Obwohl sich die Evaluation über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren erstreckte, sind viele der bereits 1998 beschriebenen Probleme auch im Jahr 2020 noch immer Thema:
- Frauen, die an einer Blutungsstörung leiden,
- erleben Hürden beim Zugang zur medizinischen Versorgung,
- haben Schwierigkeiten, mit ihrer Erkrankung zu leben, auch mit Blick auf sozioökonomische Implikationen
- werden in ihrer schulischen und beruflichen Laufbahn beeinträchtigt
- und sind in einer schlechten psychischen Verfassung.
- Blutungsstörungen werden bei Frauen verzögert diagnostiziert.
- Therapie und Unterstützung werden nicht angeboten, da die Symptome in der Regel nicht erkannt werden.
- Frauen mit Blutungsstörungen erfahren Stigmatisierung. Sie fühlen sich schuldig und traurig, selbst dann, wenn es in der Familie bereits über mehrere Generationen Blutungsstörungen gab.
- Vergleiche mit Kontrollgruppen zeigten, dass die negativen Erfahrungen von Frauen oftmals stärker sind als die von Männern mit Blutungsstörungen oder Stichproben aus der Allgemeinbevölkerung.
Außerdem regen Anna Sanigorska et al. an, die Praxis, Frauen mit Hämophilie als "Konduktorinnen, sprich Trägerinnen" zu reflektieren. Konduktorin sei ein Begriff, der sowohl die Schuld für die Weitergabe der Blutungsstörung an Kinder impliziere als auch die Belastung durch übermäßige Blutungen herunterspiele. Ein im Review veröffentlichtes Zitat einer Patientin zu dieser Thematik spricht für sich: „I had such a guilty conscience because my boyfriend ended up with me who gave him a son with an illness. It was my fault.“
Wir selbst, so Alesci, möchten uns dem Thema Konduktorinnen im Rahmen einer Arbeitsgruppe der „Ständigen Kommission Hämophilie“ annehmen und haben eine anonyme Umfrage gestartet, mit der wir aktuelle Probleme, Bedürfnisse und die klinische Blutungsneigung erfassen und damit die Aufmerksamkeit in Bezug auf die Erkrankung verbessern. Das Ausfüllen dauert ca. 10-15 Minuten. Als Kontrollgruppe werden die gesunden Freundinnen der Konduktorinnen gewählt.
Zum Weiterlesen: Sanigorska A, Chaplin S, Holland M, Khair K, Pollard D. The lived experience of women with a bleeding disorder: A systematic review. Res Pract Thromb Haemost. 2022 Feb 3;6(1):e12652. doi: 10.1002/rth2.12652. PMID: 35141459; PMCID: PMC8813663.Bitte verlinken mit https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/rth2.12652