Sexuelle Leistungsfähigkeit

Eine erfüllte Sexualität – trotz Hämophilie und Alter?

Sexualität und Alter: Das ist nicht nur für Menschen mit Hämophilie ein schwieriges Thema. Denn ganz davon abgesehen, dass – vollkommen unzeitgemäß – noch immer dessen Tabuisierung weit verbreitet ist, liegt ein vermehrtes Auftreten von Problemen in der Natur der Sache. Mit dem Alter lässt bei fast allen Männern ganz einfach die sexuelle „Leistungsfähigkeit“ nach. Bei Hämophilie-Betroffenen kommen eventuell oft noch weitere Probleme hinzu, ob körperlicher oder psychischer Natur, die die Sache zusätzlich verkomplizieren können.

Trotzdem schließen sich Alter, Hämophilie und ein normales Sexualleben nicht aus!
Besprechen Sie mit Ihrem Arzt unterschiedliche Ansätze, z. B. medikamentöse Therapien oder eine Sexualberatung, die helfen und durch die Betroffene mit sexuellen Funktionsstörungen ihre Schwierigkeiten überwinden können.

 

Hämophilie, das Alter und die sexuelle Gesundheit

Mit dem Älterwerden durchlaufen alle Männer eine Reihe biologischer und physiologischer Veränderungen in Bezug auf Hormone, Nerven und Blutkreislauf. Das alles kann sich auf Ihr Sexualleben auswirken.

Hier unterscheiden sich Männer mit Hämophilie nicht von Altersgenossen ohne Hämophilie. Doch kommt als zusätzliche Komplikation die Blutgerinnungsstörung hinzu. Dazu gehören körperliche Aspekte genauso wie psychologische oder emotionale Aspekte, beispielsweise die Angst vor Sex wegen der möglicherweise damit verbundenen Schmerzen.

 

Sexuelle Funktionsstörungen

Die männliche Sexualität kann durch verschiedene körperliche oder psychologische Faktoren gestört werden. Äußerlich zeigt sich diese Beeinträchtigung in verminderter sexueller Lust (Libido) und Erektionsstörung Dazu kommen auch Ejakulationsstörungen.1,2

Sexuelle Funktionsstörungen

Unter körperlichen Gesichtspunkten können akute oder chronische Schmerzen, wie sie für Hämophilie typisch sind, stark genug werden, um sexuelle Aktivität zu verhindern. Durchblutungsstörungen beeinflussen die Prozesse im Körper, die für eine Erektion notwendig sind.

Zu den emotionalen Hemmnissen zählen Depression, Müdigkeit und Erschöpfung oder die Angst vor Schmerzen, die beim Geschlechtsverkehr auftreten könnten. In vielen Fällen ist die körperliche Beeinträchtigung der Sexualfunktion eine direkte Folge bestimmter Medikamente: Die meisten Antidepressiva können sexuelle Funktionsstörungen verursachen.3

Bei HIV-positiven Patienten geht die hochaktive antiretrovirale Therapie (HAART) unter Umständen mit einem erniedrigten Testosteronspiegel, verminderter Libido und erektiler Dysfunktion einher4.

Bei älteren hämophilen Männern sind eventuell viele der sexuellen Probleme, wie chronische Schmerzen, Blutungen und Infektionen, aber auch ihr emotionales Wohlbefinden, Folge der Hämophilie. Es stehen Ihnen aber verschiedene Wege offen, um ein befriedigenderes Sexualleben zu führen.

 

Sexuelle Funktionsstörungen sind auch bei gesunden Männern weit verbreitet

Die männliche Sexualität umfasst drei Phasen:

  1. Das sexuelle Begehren
  2. Die sexuelle Erregung
  3. Die sexuelle Reaktion

Die sexuelle Reaktion beginnt mit sexuellem Begehren, das größtenteils von Testosteron gesteuert wird. Voraussetzung für eine Erektion sind unter anderem eine gute Durchblutung des Penis und eine ausreichende Erregung.

Die Ejakulation und der Orgasmus schließlich, also die sexuelle Reaktion, hängen von einem ausgewogenen Verhältnis von chemischen Botenstoffen ab, sogenannten Neurotransmittern.

Sexuelle Dysfunktion (sexuelle Funktionsstörung) ist aus biologischen und psychologischen Gründen in der älteren männlichen Bevölkerung verbreitet, doch liegen die dafür verantwortlichen Faktoren bei manchen hämophilen Männern in verschärfter Form vor.

Erektionsstörungen treten in der allgemeinen männlichen Bevölkerung bei einem bis neun Prozent der Männer unter 40 Jahren, bis zu 30 Prozent der Männer zwischen 40 und 59 Jahren und bis zu 40 Prozent der Männer zwischen 60 und 69 Jahren auf5.

Während sexuelle Dysfunktion in Form von vermindertem sexuellem Begehren mit dem Alter zunimmt, sind Orgasmus-Störungen weniger häufig.


Einfluss der Hämophilie auf sexuelle Probleme

Hämophiliebedingte emotionale Krisen wie Depressionen wirken sich nachteilig auf das sexuelle Begehren und die sexuelle Erregung aus6.

Auch die Nebenwirkungen bestimmter Medikamente, wie Antidepressiva, können zu sexueller Dysfunktion führen. Antidepressiva können ein Ungleichgewicht der Neurotransmitter und in der Folge eine verminderte sexuelle Reaktion bewirken. Darüber hinaus sind moderne Antidepressiva mit hohen Raten sexueller Dysfunktion in allen drei Phasen der männlichen Sexualität verbunden.

Hämophilie wird häufig von zusätzlichen körperlichen Erkrankungen begleitet, die sich auf die sexuelle Funktion auswirken können. So geht beispielsweise eine Nierenkrankheit mit starker Müdigkeit und einer Senkung des Testosteronspiegels einher.

Hypertonie und andere Gefäßkrankheiten sind mit Durchblutungsstörungen verbunden. Da für die Erektion ein effizienter arterieller Blutzufluss und die Drosselung des venösen Blutabflusses im Schwellkörper des Penis notwendig sind, können derartige Durchblutungsstörungen auch zu Erektionsproblemen führen.

Nicht zuletzt ist ein Teil der Betroffenen mit HIV infiziert. Viele Patienten erhalten eine hochaktive antiretrovirale Therapie (HAART), die mit einer Senkung des Testosteronspiegels einhergeht und häufig Erektionsstörungen und eine verminderte Libido verursacht7,8.


Was Sie gegen sexuelle Probleme tun können

Sollten Sie in Bezug auf ihr Sexualleben besorgt sein oder schon Probleme haben, so haben Sie keine Scheu vor einem offenen Gespräch sowohl mit Ihrem Arzt als auch mit Ihrer Partnerin oder Ihrem Partner!

Einige Berater wenden z.B. das sogenannte „PLISSIT“-Modell2,9 an, das aus vier Stufen besteht:

  1. Permission“ (Gesprächsbereitschaft signalisieren)
  2. Limited Information“ (die richtigen Informationen zur richtigen Zeit)
  3. Specific Suggestions“ (konkrete Informationen, Empfehlungen, Ratschläge)
  4. Intensive Therapy“ (Sexualtherapie oder Sexualberatung10)

Darüber hinaus gibt es spezielle Patientenfragebögen für die Routineerhebung von Informationen über die Sexualfunktion. Meist reicht schon eine einzige Frage aus, um eine Dysfunktion zu erkennen:

 

„Wie häufig sind Sie in der Lage, eine Erektion zu bekommen und zu behalten, mit der Geschlechtsverkehr möglich ist? Immer, normalerweise, manchmal oder nie?“

Eine konkrete Diagnose wird anhand der Dokumentation Ihrer sexuellen Vorgeschichte und/oder anhand von Laboruntersuchungen gestellt. Ist eine Diagnose erfolgt, stehen je nach Art der Störung heute moderne, vielversprechende Behandlungsoptionen zur Verfügung.  Sprechen Sie mit Ihrem Arzt im Hämophilie-Zentrum.

Patienten, deren sexuelle Dysfunktion auf der Angst vor Schmerzen beruht, können zur Schmerzlinderung andere Stellungen ausprobieren, die mehr Komfort beim Geschlechtsverkehr bieten. Lesen Sie dazu mehr im folgenden Abschnitt.


Wenn Schmerzen die Lust auf Sex nehmen

Die Angst vor Schmerzen ist eine häufige Sorge von Männern mit Hämophilie und hemmt die Lust auf Sex, insbesondere wegen des Risikos von Schmerzen und Blutungen. Die Angst und die Schmerzen können so groß werden, dass sie das Sexualleben stark beeinträchtigen.

 

Schmerzen in den Gelenken und Blutungen

Viele Männer mit hämophiler Arthropathie haben während des Geschlechtsverkehrs Probleme mit ihren Gelenken, insbesondere den Ellenbogen-, Hüft- und/oder Kniegelenken.


Wie Sie Schmerzen beim Sex vorbeugen

Ihnen stehen mehrere Möglichkeiten offen, um Schmerzen beim Sex zu verhindern, erfreulicherweise auch durch die Ausweitung des sexuellen Repertoires.

Vermeiden Sie beispielsweise bestimmte Stellungen, wie die traditionelle Missionarsstellung, die die Gelenke zusätzlich belastet. Probieren Sie stattdessen sitzende Stellungen, „Frau oben“ oder die Kreuzstellung (bei der der Mann auf der Seite und die Frau auf dem Rücken liegen). Eine weitere Option ist nicht-penetrativer Sex, indem Sie beispielsweise orale, vibrierende oder manuelle Stimulation praktizieren. Gleiches gilt natürlich auch für homosexuelle Sexpraktiken.

Insgesamt können Sie trotz aller Einschränkungen durchaus ein aktives und befriedigendes Sexualleben haben. Nehmen Sie dafür bitte das Beratungsangebot des Hämophilie-Zentrums in Anspruch, um den wirksamsten Plan für die Vermeidung von Schmerzen beim Geschlechtsverkehr zu erarbeiten.

    Wie praktiziere ich sicheren Sex?

    Sicheren Sex können Sie in gleicher Weise praktizieren wie alle anderen Menschen auch – durch Gebrauch von Latexkondomen, um die Übertragung sexuell übertragbarer Krankheiten zu verhindern.

     

    Können Sexstellungen empfohlen werden, in denen die durch Arthropathie verursachten Schmerzen geringer sind?

    Empfohlen werden andere Stellungen als die herkömmliche Missionarsstellung, in der die hämophilen Gelenke zu stark belastet werden, beispielsweise sitzende Stellungen oder die Kreuzstellung. Nicht-penetrativer Sex (oral oder manuell) ist eine weitere Möglichkeit, um den Druck auf die Gelenke und die damit verbundenen, durch die Arthropathie verursachten Schmerzen zu verringern. Hier gilt die Devise: Erweitern Sie Ihren sexuellen Horizont!

     

    Wie kann ich mit meinem sexuellen Begehren umgehen, wenn ich unter Müdigkeit und Erschöpfung, Depressionen, einem zu niedrigen Testosteronspiegel, der Erwartung von Schmerzen oder den Nebenwirkungen von Antidepressiva leide?

    Sexualberatung oder -therapie können helfen, die Art der sexuellen Dysfunktion zu bestimmen und auf Basis der Befunde gegebenenfalls eine medikamentöse Behandlung zu verordnen.

      1 Dune T. Haemophilia. 2012;18(3):e138-9
      2 Torres-Ortuno A et al. Vox Sang. 2017;112(4):301-309
      3 Montejo AL et al. J Clin Med. 2019;8(10):1640
      4 Gianotten WL and Heijnen L, Haemophilia. 2009;15(1):55-62
      5 Lewis RW et al. J Sex Med. 2004;1(1):35-9
      6 Kennedy SH et al. J Affect Disord. 1999;56(2-3):201-8
      7 Ende AR et al. AIDS Patient Care STDS. 2006;20(2):75-8
      8 Lamba H et al. Int J STD AIDS. 2004;(4):234-7
      9 Parish KL. Haemophilia. 2002 May;8(3):353-9
      10 Annon JS, Vol. 1. Brief Therapy. The Behavioural Treatment of Sexual Problems (1974)