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hemoTICKER 2/2022

Highlights des Redaktionsteams

Das waren die Favoriten von Sonja Alesci (Bad Homburg)

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Dr. Sonja Alesci,
IMD Gerinnungszentrum Hochtaunus am Gesundheitscampus Bad Homburg

In Hämophilie-Behandlungszentren (HTC) stellen sich immer mehr (biologische) Frauen mit vererbten Blutgerinnungsstörungen vor – eine Situation, die laut Klinikern zur Entwicklung von Leitlinien einlädt, die empfehlen, wie hämostatische Therapien bei dieser Patientinnen-Gruppe eingesetzt werden sollten, vor allem bei Patientinnen mit konkurrierenden altersbedingten vaskulären Risikofaktoren. Jetzt untersuchte eine vom Women's Health Research Seed Grant finanzierte Studie, wie häufig Blutungen und arterielle Gefäßereignisse bei postmenopausalen Patientinnen mit vererbten Blutgerinnungsstörungen auftreten. 
 
In die Studie eingeschlossen wurden Frauen aus dem HTC der Universität von Colorado. Die Einschlusskriterien umfassten ein Alter über 45 Jahren, zudem sollten die Patientinnen die Menopause bereits hinter sich gebracht haben oder einen Follikel-stimulierendes-Hormon (FSH)-Wert >30 lE/ml aufweisen.

Insgesamt 35 Frauen (Durchschnittsalter von 64,29 Jahre) gaben ihr Einverständnis und wurden im Rahmen einer leitfadengestützten Telefonumfrage interviewt. Die Umfrage ergab: Das Von-Willebrand-Syndrom (n=13) zählte zu den häufigsten vererbten Blutgerinnungsstörungen, gefolgt von der heterozygoten Hämophilie A (n=10) und der heterozygoten Hämophilie B (n=6).  


Knapp jede vierte Patientin (n=8; 22,86 %) berichtete postmenopausale vaginale Blutungen. Bei mehr als zwei Drittel (n=27; 77,14 %) traten nicht-vaginale Blutungen nach der Menopause auf – davon bei einem Großteil im Zusammenhang mit invasiven Eingriffen (n=18; 66,67 %).   


Drei Patientinnen erlitten einen Schlaganfall oder Herzinfarkt. Jeweils vier Patientinnen erhielten eine Therapie mit Aspirin und/oder Antikoagulation. Bei allen Patientinnen unter Antikoagulation wurden während der Behandlung unerwünschte Blutungsereignisse beobachtet. Tabelle 1 zeigt die postmenopausalen thromboembolischen Ereignisse.   

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Auch wenn die Daten, wie die Studienautoren abschließend darlegen, durch die geringe Stichprobengröße limitiert sind und primär die Situation von Patientinnen mit schwereren Phänotypen abbilden: Bemerkenswert ist, dass Blutungen nach der Menopause, insbesondere im Zusammenhang mit einem chirurgischen Eingriff, weiter häufig auftreten – und dies trotz der altersassoziierten konkurrierenden vaskulären Risikofaktoren und der mit zunehmendem Alter steigenden Aktivität des Von-Willebrand-Faktors und des Faktor VIII. Daher unterstreichen die Ergebnisse laut Studienautoren die Notwendigkeit einer individuellen hämostatischen Therapiestrategie bei älteren Frauen mit einer vererbten Blutgerinnungsstörung.  


Literatur:  
Moyer G, Manco-Johnson M. Post-Menopausal Bleeding and Arterial Thrombosis in Biological Females with Inherited Bleeding Disorders [abstract]. https://abstracts.isth.org/abstract/post-menopausal-bleeding-and-arterial-thrombosis-in-biological-females-with-inherited-bleeding-disorders/. Accessed July 21, 2022.

 

„In Bezug auf dieses Abstract gefällt mir besonders, dass den frauenspezifischen Themen mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird. Ich denke, eine Datensammlung zu Blutungsereignissen im Alltag von älteren Patient*innen mit hämorrhagischen Diathesen ist auch in naher Zukunft nötig“, so das Fazit von Dr. Sonja Alesci.


Eine länderübergreifende, multizentrische Studie zur Online-Überprüfung der Krankenakten von Patienten mit Hämophilie A und B (HA & HB) zeigte: Zwischen Patienten mit schwerer HA ohne Inhibitoren (non-inhibitor; NI), die in den letzten 12 Monaten über ein Blutungsereignis berichteten, gibt es deutliche Unterschiede – und zwar in Bezug auf den Wohnort, das Alter und die Umstiegsraten auf ein anderes Präparat.


Die vorliegende Studie untersuchte das Auftreten von Blutungen bei Patienten mit schwerer HA (ohne Inhibitor-Entwicklung) aus den Vereinigten Staaten (USA), der europäischen Union und dem vereinigten Königreich (EU&UK: Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und UK) sowie aus Japan. Für die Studie wurden aus einem großen Zugangspanel der Ipsos Hemophilia Therapy Monitors (Studien zur Überprüfung von Patientenakten, die die Gabe von Therapien verfolgt) insgesamt 295 Ärzt*innen in den USA (n=70), der EU&UK (n=180; ~gleiche Verteilung auf die Länder) sowie Japan (n=45) rekrutiert, die Daten von insgesamt 1.958 Patienten mit Hämophilie zur Verfügung stellten. Von diesen Patienten lag bei 1.424 (EU&UK: 984, US: 355, JP: 85) Patienten eine schwere HA ohne Inhibitor-Vorgeschichte vor. Die Datenerfassung erfolgte zwischen Juni und August 2021.  


Von den 1.424 Patienten mit schwerer Hämophilie ohne Inhibitor-Vorgeschichte berichtete mehr als jeder zweite Patient aus EU&UK über Blutungsereignisse in den letzten 12 Monaten (59 %; 579/984). Zum Vergleich: Sowohl in der US- (48 %: 171/355) als auch in der japanischen Stichprobe (40 %: 34/85) waren signifikant weniger Patienten betroffen (p<0,01). Bei den Patienten mit Blutungsereignissen in den letzten 12 Monaten wiesen diejenigen aus EU&UK und USA ein jüngeres Durchschnittsalter auf gegenüber den Patienten aus Japan (entsprechend: 27 vs. 26 vs. 40 Jahre): So waren in Japan 41 % (n=14/34) jünger als 41 Jahre, in EU&UK und USA waren dies 85% (n=491/579) bzw. 82 % (n=140/171). In EU&UK (68,4 %, n=394/579) und Japan (67,7 %, n=23/34) hatten seit der Diagnose ähnlich viele Patienten das Präparat gewechselt, während verglichen mit den USA (53 %, n=91/171; p < 0,01) der Anteil in EU&UK signifikant höher lag. 


Die Studienautoren regen abschließend an, die in der Studie beobachteten Unterschiede bei der Überarbeitung oder der Entwicklung regionalspezifischer Leitlinien einzubeziehen. Zudem legen sie nahe, weitere Studien mit Vergleichskohorten durchzuführen.  

 

„Der erste Gedanke in Bezug auf die Studie ist, dass man genug Daten zu Blutungen bei Patienten mit Hämophilie kennt. Allerdings bietet die Arbeit als Besonderheit die weltweite Datensammlung und die dadurch ersichtlichen Unterschiede in den Blutungsraten – je nachdem in welcher Region die Patienten wohnen. Eine internationale Zusammenarbeit erachte ich daher als wertvoll, um zusätzlich die länderspezifischen Strategien zu überdenken“, bewertet Dr. Sonja Alesci die vorliegende Studie.  


Literatur:  
Amirah A, Palau I, Rosli A, Allie N. Bleeding Rates in Severe Non-inhibitor Haemophilia A Patients Across US, EU4&UK and Japan [abstract]. https://abstracts.isth.org/abstract/bleeding-rates-in-severe-non-inhibitor-haemophilia-a-patients-across-us-eu4uk-and-japan/. Accessed July 25, 2022.


Das waren die Favoriten von Dr. Georg Goldmann (Bonn)

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Dr. Georg Goldmann, Hämophiliezentrum am Uniklinikum Bonn

Mit einem muskuloskelettalen Ultraschall (MSK-US) – ein nicht-invasives und leicht zugängliches Diagnoseinstrument – kann die Gelenkgesundheit von Patienten mit Hämophilie effektiv beurteilt werden. Könnten Hausärzte oder Patienten ein telemedizinisches MSK-US-System selbst anwenden, das die Bilder anschließend an ein Versorgungszentrum weiterleitet, wäre es möglich, Hämophilie-Patienten besser personalisiert zu behandeln. Ein auf künstlicher Intelligenz (KI) basierendes Diagnosesystem, das die mit einer Hämarthrose einhergehende Gelenkkapselausdehnung auf MSK-US Bilder automatisch erkennt, könnte dann bei der
Priorisierung von therapeutischen Maßnahmen unterstützen.  
 
 

Daher war das Ziel der vorliegenden Studie, die Praxistauglichkeit eines Deep-Learning-Algorithmus zu testen, der darauf trainiert wurde, Gelenkkapselausdehnungen in MSK-US-Bildern zu erkennen. Als Trainings- und Testmaterial dienten von einem in MSK-US-Auswertung erfahrenen Arzt klassifizierte longitudinale Scans vom suprapatellaren Schleimbeutel (SPB-LS) des um 30 Grad gebeugten Knies.  

Die Studienautoren schlossen von Oktober 2020 - Dezember 2021 konsekutiv 200 erwachsene Hämophilie-Patienten im Alter von 44,7 ± 18,6 Jahren aus einem einzigen Hämophilie-Zentrum ein. Die Kontrollgruppe bildeten 50 geschlechts- und altersgleiche gesunde Personen. Von den insgesamt 8.634 erfassten MSK-US-Bildern waren 2.267 Knie-Scans, davon wurden 450 als valide erachtet (SPB-LS): Von den 450 Scans flossen 330 in das Training ein, 120 Bilder dienten als Prüfdatensatz. Wie das Ergebnis zeigte, erkannte der KI-basierte Algorithmus Gelenkkapselausdehnungen bei Hämophilie-Patienten mit einer Genauigkeit von 88 % (Sensitivität: 80 %; Spezifität: 93 %) – und erwies sich damit als geeignet, eine Hämarthrose bei Hämophilie-Patienten zu identifizieren.  

Die Leistung des KI-Systems könnte sich, wie die Studienautoren abschließend erläuterten, mit einer größeren Trainingsmenge weiter verbessern. Zudem sei diese Arbeit der erste Schritt, um ein telemedizinisches System zur frühzeitigen Diagnose von Hämarthrosen bei Hämophilie-Patienten zu entwickeln, um auf diese Weise eine auf den Patienten zugeschnittene Therapie schnellstmöglich einzuleiten.  


„Das besondere für mich an diesem Artikel war, dass es dank weiterem technischen Fortschritt in Form einer automatisierten Auswertungsmethodik jetzt zukünftig möglich sein könnte, Ultraschalluntersuchungen zur Beurteilung der Gelenke nicht nur vor Ort in darauf spezialisierten Hämophiliezentren für die Patienten anzubieten. Es wäre dann sogar möglich, dass diese wichtige Untersuchungsmethode bereits entweder durch die mitbetreuenden Hausärzte oder den Patienten selbst durchgeführt werden kann“, so Dr. Georg Goldmann abschließend. 

 

Literatur:  
Gualtierotti R, Arcudi S, Colussi M, Mascetti S, Cafasso G, Biguzzi E, Bettini C, Peyvandi F. Artificial intelligence for the point-of-care ultrasound-based detection of joint effusion in patients with hemophilia [abstract].
https://abstracts.isth.org/abstract/artificial-intelligence-for-the-point-of-care-ultrasound-based-detection-of-joint-effusion-in-patients-with-hemophilia/. Accessed July 26, 2022.  


Bislang ist noch wenig bekannt darüber, wie sich Schmerzen bei Hämophilie-Patienten auf das Alltagsleben auswirken. Nun nahm sich eine Studie dieser Fragestellung an. Außerdem interessierte, wie Schmerzen mit dem Schweregrad der Hämophilie, der Blutungshäufigkeit sowie mit soziodemografischen (Alter und Bildung) und psychologischen Variablen (Depression, Optimismus, Zufriedenheit, körperliche Stabilität) zusammenhängen.

   
Die Datenerhebung der vorliegenden Studie erfolgte via einer im Jahr 2021 in Kroatien durchgeführten Umfrage mit Hämophilie-Patienten, die mindestens 18 Jahre alt waren.


In die Auswertung flossen die Daten von 98 Patienten ein: In puncto Schmerzfrequenz litten 24,7 % der Patienten täglich unter Schmerzen, rund jeder vierte (25,8 %) war häufig betroffen. Bezüglich der Schmerzintensität berichteten 45,4 % über mäßige Schmerzen, 13,4 % hatten starke und 2,1 % sehr starke Schmerzen. Es zeigte sich eine statistische Interaktion zwischen den Schmerzen und dem Alltagsleben in Bezug auf die Variablen Freizeitaktivitäten (M=2,73), Gehen (M=2,63), Arbeiten (M=2,42) und Schlafen (M=2,16), bei Verwendung einer Bewertungsskala im Bereich von 1-5. Zudem gab es eine signifikante Korrelation zwischen den Schmerzen und dem Schweregrad der Hämophilie, der Blutungshäufigkeit sowie dem Alter und einen Zusammenhang zwischen Schmerzen und den psychologischen Parametern Depressionen, Optimismus, Zufriedenheit sowie physischer Stabilität. Was die gleichzeitige Auswirkung der Schmerzintensität und/oder -häufigkeit auf diese psychologischen Variablen betrifft, ergab die Regressionsanalyse: Schmerz ist in beiden Fällen nur dann ein signifikanter Prädiktor, wenn er als „Vermittler“ – d. h. als Mediatorvariable – die täglichen Aktivitäten und damit auch das psychische Befinden negativ beeinflusst. 

Schmerzen treten bei vielen Hämophilie-Patienten auf, erläutern die Studienautoren in ihrem Fazit, insbesondere bei älteren Menschen mit schwerer Hämophilie. Zudem beeinträchtigen Schmerzen verschiedene Aspekte des Alltagslebens. Aus diesem Grund ist es notwendig, das Bewusstsein für dieses Symptom zu stärken, die Schmerzprävention und -behandlung weiter voranzubringen und wirksame Methoden zur psychologischen Unterstützung anzubieten.  


„Dieser Artikel hat mich besonders beindruckt, da er in harten Zahlen das zeigt, was wir aus der alltäglichen Praxis alle täglich erfahren: Schmerz mit all seinen Auswirkungen spielt bei einem großen Teil der Hämophilie-Patienten eine zentrale Rolle, führt zu einer Beeinträchtigung des Alltagslebens und muss noch mehr in den Fokus unserer Behandlung gerückt werden“, reflektiert Dr. Georg Goldmann.